Bedeutung von ESG-Kriterien in der Management-Ausbildung

Für Genossenschaften ein Kernprinzip

In der Finanzwirtschaft nehmen ESG-Kriterien einen zunehmend höheren Stellenwert ein. Die Berücksichtigung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten ist dabei auch Ausdruck eines grundlegenden Bewusstseinswandels und einer Neuperspektivierung von Werten in unserer Gesellschaft. Hierbei handelt es sich jedoch nicht allein um ein völlig neuartiges Phänomen oder lediglich einen „Modetrend“, der in den letzten Jahren aufgekommen wäre.

Im Gegenteil – zumindest für genossenschaftlich verfasste Organisationen der Finanzwirtschaft ist, in Übereinstimmung mit dem genossenschaftlichen Wertekanon, ein entscheidendes Prinzip. Beispielsweise legte die Union Investment bereits 1990 ihren ersten Nachhaltigkeitsfonds auf. Das Volumen nachhaltig gemanagter Fonds, insbesondere im institutionellen Geschäft betrug (Stand August 2019) rund 48 Milliarden Euro. ESG-Kriterien werden bei Union Investment systematisch in Portfolio- und Investmententscheidungen integriert. Diesem Ziel dienen auch die interne ESG-Academy und ein eigenständiges Nachhaltigkeits-Research, das es erlaubt, Wertpapiere und Asset-Kategorien auf Grundlage umfassender Datenbestände systematisch zu bewerten. 


Anforderungsprofil verändert sich 

Auf der Ebene der EU werden Maßnahmen zur Verankerung von ESG-Kriterien und Nachhaltigkeitsprinzipien in der Finanzbranche („Sustainable Finance“) weiter vorangetrieben. Die entsprechenden Maßnahmenpakete und Zielplanungen umfassen unter anderem die Definition nachhaltiger Finanzprodukte und Anlagedestinationen anhand einer konkreten Taxonomie, Auflagen und Informationserfordernisse im Hinblick auf nachhaltige Finanzprodukte oder die Kennzeichnung von Finanzprodukten mit einem ausdrücklichen Umwelt- und ESG-Bezug (etwa „Sustainable Bonds“).

Die gesamte Finanzwirtschaft wird es also auf dem Feld von ESG und Nachhaltigkeit mit einem geschärften Anforderungsprofil zu tun haben – wobei die handelnden Personen nicht nur durch regulatorische Neuerungen und den gesellschaftlichen Bewusstseinswandel, sondern per se durch ihr eigenes ethisches Bewusstsein gefordert sind. Innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe werden diese Anforderungen als zusätzlicher Qualitätsansporn für die Produktentwicklung und tägliche Beratungspraxis angenommen.

Neben Union Investment kann hier auch auf die R+V Versicherung verwiesen werden, die sich zum Global Compact der Vereinten Nationen bekannt hat (Ausrichtung des Handelns an zehn sozialen und ökologischen Grundsätzen). Ferner wurde der R+V im Rahmen eines Ratings der gesamten DZ Bank Gruppe dewe-Status“ für ein ausgeprägtes Engagement für ökologische und soziale Belange verliehen. Konkrete Kriterien für solch eine Verleihung, die seitens der etablierten Ratingagentur ISS ESG erfolgte, sind beispielsweise die gezielte Weiterbildung von Mitarbeitern, faire Geschäftsabläufe und der Nachweis von Ökoeffizienz im Unternehmen.


„Betriebsökologie“, Geldanlage und Firmenkundengeschäft

ESG-Prinzipien sowie konkretisierte Nachhaltigkeitskriterien spielen auch in der praktischen Tätigkeit der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken eine wichtige Rolle. Dies gilt nicht nur für die Beratung zu Finanzprodukten und das Management von Eigenanlagen, sondern es betrifft ebenso Fragen der Bankführung und konkreten „Betriebsökologie“ (beispielsweise Reduktion von Energie-, Wasser- und Papierverbrauch, Nutzung energieeffizienter Gebäude). Im Firmenkreditgeschäft lassen sich darüber hinaus Ausschlusskriterien anwenden, sofern beispielsweise bei Projektfinanzierungen gegen Nachhaltigkeitsgrundsätze verstoßen würde. Zu nennen ist schließlich die für Genossenschaftsbanken seit jeher charakteristische Verwurzelung in der jeweiligen Region und die Unterstützung von karitativen und gemeinwohl dienlichen Projekten im Einzugsbereich der Institute.


Gefahr der Beliebigkeit

Im Hinblick auf ESG-kompatible Finanzprodukte sollten aber nicht nur deren Vorteile betont, sondern auch mögliche Risiken berücksichtigt werden. So kann der Begriff der Nachhaltigkeit in manchen Fällen offenbar allzu leicht in Richtung „Greenwashing“ gehen und auf „schillernde“, damit substanzarme, schwammige und letztlich lediglich werbeträchtige Weise ins Feld geführt werden. Die skizzierten Definitionen und Taxonomien seitens der EU sind in diesem Kontext sicherlich nützliche Ansätze, um Konzepte wie ESG oder den Nachhaltigkeitsbegriff inhaltlich besser erfassbar zu machen und vor Beliebigkeit zu schützen.


Risiken nachhaltiger Anlagen nicht unterschätzen

Seitens der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde in einem solchen Zusammenhang bereits auf diese Problematik der Begriffsverwässerung aufmerksam gemacht und zugleich darauf hingewiesen, dass auch belegbar nachhaltige und soziale sowie Governance-Kriterien berücksichtigende Geldanlagen selbstverständlich durchaus risikoreich sein können. Allerdings werden in breiten Kreisen der Bevölkerung genau diese Risiken unterschätzt. Nach jüngeren Erhebungen der BaFin erwecken beispielsweise Finanzproduktattribute wie „ökologisch“, „Wald“ oder „Wasserkraft“ bei vielen Menschen offenbar den Eindruck besonderer Solidität beziehungsweise geringer Verlustrisiken. Anlagerisiken hängen jedoch unter anderem von der Anlageform ab (etwa in der Regel forciertes Risikoprofil einer Einzelaktie eines nachhaltig agierenden Unternehmens als bei einem breiter aufgestellten Nachhaltigkeitsaktienfonds). Auch nachhaltige Investments sollten also hinsichtlich Risiko sowie Anlagehorizont und Liquidität zu den Bedürfnissen von Bankkunden beziehungsweise -mitgliedern passen und bedürfen bankseitig der qualifizierten Beratung. Diese Aussage wird keineswegs dadurch geschmälert, dass nachhaltige Finanzprodukte im Hinblick auf ihre Performance nach verfügbaren Daten den gleichsam konventionellen Vergleichsprodukten durchaus gleichwertig sein können beziehungsweise teils sogar besser abschnitten. Die Mitarbeiter von Organisationen der genossenschaftlichen Finanzgruppe, werden entsprechend geschult und kontinuierlich weiterqualifiziert. Hier kann auf die genossenschaftliche Weiterbildungsinfrastruktur zurückgegriffen werden, wobei die Akademie Deutscher Genossenschaften e. V. (ADG) eine zentrale Rolle spielt. Die Weiterbildungsmaßnahmen auf den verschiedenen Ebenen beinhalten unterschiedliche Lernformen insbesondere in den Bereichen Privatkundengeschäft, Anlage- und Vermögensberatung, Kreditgeschäft, aber auch Eigenanlagen und Qualitätsmanagement.


Kritische Reflexion als wichtiges Element der Managerausbildung

Aus der Perspektive der Managementausbildung im Finanzbereich sind hinsichtlich der ESG-Thematik exemplarisch folgende Anwendungsfelder zu nennen: ESG-Potenzialaktivierung für die verschiedenen Assetklassen, daneben aber auch ESG-bezogenes Risikomanagement (ESG-Parameter und ihr Stellenwert für das Risiko-Rendite-Profil), Integration von ESG in die Unternehmenskommunikation und (Investment-) Prozessketten. Zugleich sollte die Befähigung zur kritischen Reflexion des Nachhaltigkeitsgedankens eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Managementausbildung einnehmen. Dazu gehört etwa ein Verständnis des normativen Charakters von Nachhaltigkeit oder der Problematik des „Greenwashings“. Führungskräfte sollten zudem ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass Werte im Sinne von ESG nicht hierarchisch vorgegeben werden können, sondern eigenständig – auch dezentral – zu entwickeln und zu hinterfragen sind.

Dr. Viktoria Schäfer

Vorstandsvorsitzende und wissenschaftliche Leiterin ADG Scientific Center for Research and Cooperation

Quelle: bank und markt 06/2020